Verletzte, Opfer und anwaltliche Beistände
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft konnte eine empirische Studie zu sogenannten „Opferanwälten“ im Strafverfahren durchgeführt werden:
- Barton/Flotho, Opferanwälte im Strafverfahren, 2010, Nomos Verlag, Baden-Baden
Zusammenfassung: Das Opferschutzgesetz von 1986/1987 hat das Rechtsinstitut der Nebenklage grundlegend reformiert und zum zentralen Instrument des strafprozessualen Opferschutzes gemacht. Der Nebenkläger ist auf diese Weise zu einer mit starken Prozessrechten ausgestatteten neuen Partei im Strafprozess geworden. Die reformierte Nebenklage fügt sich allerdings schon in der Theorie keinesfalls spannungsfrei in den herkömmlichen Strafprozess ein. Trotz emsiger Reformtätigkeiten des Gesetzgebers fehlt ihr nach wie vor ein stimmiges Grundkonzept. Das neue Rechtsinstitut wurde nicht in den „alten“ Strafprozess integriert, sondern diesem mehr oder weniger nur angehängt. Die Nebenklage wirkt deshalb geradezu wie ein Fremdkörper im Strafverfahren. Das betrifft auch den Nebenklageanwalt. So ist der Anspruch des Verletzten auf Beiordnung eines kostenlosen Opferanwalts zwar ständig erweitert worden; auch verfügt er auch über wirkungsvolle Rechte, wie bspw. das Akteneinsichtsrecht. Dennoch erscheint sein Leitbild offen und diffus, auch fehlt es an Problembewusstsein hinsichtlich der anwaltlichen Berufsmethodik.
Ausgewählte Thesen:
- Nebenklageverfahren verlaufen konfliktreicher als vergleichbare Verfahren ohne Nebenklage. Das Hinzutreten des Nebenklägers und seines Beistandes kann Konfliktstoff mit sich bringen; umgekehrt kann auch die Erwartung des Opfers, das Verfahren werde konflikthaft verlaufen, Grund sein, sich eines anwaltlichen Beistands zu bedienen.
- Nebenklageverfahren dauern länger. Förmliche Aktivitäten des Nebenklageanwalts tragen dazu nur untergeordnet und im Hinblick auf die Anzahl der Sitzungstage bei. Sehr viel stärker schlagen dagegen Beweisschwierigkeiten und Aspekte der Verfahrenskomplexität zu Buche.
- Die Chancen von Angeklagten auf Freisprüche, Einstellungen und niedrige Strafen sind in Nebenklageverfahren geringer als in Verfahren ohne Nebenkläger. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass es in Nebenklageverfahren besser gelingt, die Sicht des Verletzten plastisch aufzuzeigen und sich Richter aus Rücksicht gegenüber dem Verbrechensopfer weniger offen für Strafmilderungen zeigen.
- Nebenklage führt zu einer Erhöhung der Kostenlast für den Verurteilten.
- Im Bereich der anwaltlichen Dienstleistungsangebote bilden sich nicht nur die Konturen einer neuen Semi-Profession spezialisierter Opferanwälte heraus, sondern lassen sich umgekehrt auch Tendenzen zu deren Deprofessionalisierung beobachten.
- Die von der Rechtspolitik an den Ausbau des strafprozessualen Opferschutzes geknüpften Erwartungen haben sich nur zum Teil erfüllt.
Im Anschluss an diese Studie erfolgten weitere Publikationen zum „Opfer“, zur Nebenklage und zu „Opferanwälten“:
- Editorial: "Die Geister, die sie riefen“ - Nebenklage heute, StV Heft 3/2018, S. I
- Strafrechtspflege und Kriminalpolitik in der viktimären Gesellschaft. Effekte, Ambivalenzen und Paradoxien; in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Materialheft zum 40. Strafverteidigertag, 2016, S. 45 – 56 (Nachdruck aus Barton/Kölbel, Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts, 2012, S. 111 ff.)
- Opferschutz und Verteidigung: Die Ambivalenz der Opferzuwendung des Strafrechts, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), 36. Strafverteidigertag, 2013, S. 49 – 67
- Editorial: Strafjustiz und Opfergerechtigkeit, StV Heft 12/2012, S. I
- Strafrechtspflege und Kriminapolitik in der viktimären Gesellschaft. Effekte, Ambivalenzen und Paradoxien; in: Barton/Kölbel (Hrsg.), Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts, 2012, S. 111 ff.
- Opferanwälte im Strafverfahren: Auf dem Weg zu einem neuen Prozessmodell; in: Pollähne/Rode (Hrsg.), Opfer im Blickpunkt - Angeklagte im Abseits, 2012, S. 21 ff.
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Nebenklagevertretung im Strafverfahren, StraFo 2011, 161 - 168